Unternehmen Dünner Mann

Abdrucke

 

Der Text erschien als drittes Kapitel des Fortsetzungsromans Die Untersuchung oder der Untergang des Hauses Kohl. Der Roman, von dem die Nation spricht in der

taz

. Die ersten fünf Kapitel wurden in der Rubrik Literataz am 21.10.2000 veröffentlicht. AutorInnen dieser fünf Kapitel waren

El­ke Schmit­ter

,

Ge­org M. Os­wald

, Elfriede Jelinek und

Hanns-Jo­sef Ort­heil

.

Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger

schrieb als Gastbeitrag ein Gedicht. Die folgenden Kapitel erschienen jeweils einzeln im Kulturteil, die letzte Folge am 23.12.2000. Autoren dieser Beiträge waren

Klaus Mo­dick

,

Til­man Speng­ler

,

Wolf­gang Mül­ler

,

Jo­chen Schmid

,

Da­vid Wag­ner

,

Franz­obel

und

Jo­seph von West­pha­len

. Im Anschluss erschienen alle Folgen zusammen in einem Heftchen.

Thema des

taz

-Romans sind die satirische Aufbereitung der CDU-Spendenaffäre und deren Darstellung in deutschen TV- und Printformaten. In Jelineks Beitrag tritt neben karikierten Figuren aus Deutschlands (

Deutsch­land

) Medien- und Politlandschaft (

Me­di­en

,

Po­li­tik

) auch ein „kleiner schmaler Mann“ aus einem „südöstlichen Land“ auf, der Züge des österreichischen (

Ös­ter­reich

) Politikers

Wolf­gang Schüs­sel

hat.

 

Der schmale Mann hatte in der Aufregung den Akzent seines südöstlichen Landes noch verschärft. Er musste seine Geschichte erzählen. Vielleicht würde ein wenig Exotik ihm helfen, sich in Deutschland besser zu verkaufen. Das glaubt nun wirklich niemand. Mein Land hat an einer Co-Produktion mit Ihrem Sender größtes Interesse, weil das Land zu klein ist, um irgendetwas selber produzieren zu können, egal was, und weil uns immer andere sagen müssen, wo’s langgeht und wen wir wählen dürfen, denn wir finden vor lauter Bergen oft den Weg nicht mehr. Ja, ja, dauernd auf der Suche, sich irgendwo dranzuhängen. Erst hinterher schauen, wo wir angekommen sind, wenn der Zug schon lange fährt. Das kennen wir! Das südöstliche Land habe keine Menschen, die sich fürs Fernsehn in container sperren lassen würden, nein, Moment, ich sehe, es hat sie doch. Die Leute sind aber nicht sehr interessant, deswegen müssen wir ja Ausländer in die container hineintun, am besten noch am Flughafen, wenn die Leute grade erst angekommen sind und noch nicht sagen können, wie es ihnen bei uns gefällt. Sie werden uns aber schon noch kennen lernen, sagte der kleine dünne Mann zur Maskenbildnerin, die ihn fasziniert zu verfolgen schien. So ein Gesicht hatte sie noch nie gesehen. Aber auch die Leute bei uns wollen fernsehen, sprach der Mann noch, wie zu sich selbst, es sträubten sich ihm eine Weile die Haare bei dieser Vorstellung, denn die Menschen bei ihm zu Hause schienen zu handeln, als wären sie ohnedies die ganze Zeit im Fernsehen. Man sieht sie, aber was sie in Wirklichkeit machen, das sieht man nicht. Wie bei dem dicken weltberühmten Politiker, nein, dem anderen, früheren. Sogar die Bösewichte dort in der Ferne sind so klein, dass sie im Ganzen in den Apparat hineingehen, sozusagen in ihrer natürlichen Größe, also sie sind halt einfach nicht sehr groß, plustern sich aber gerne auf. Das wollte ich damit sagen.

aus: Elfriede Jelinek: Unternehmen Dünner Mann . In: taz, 21.10.2000.