Seid keine schönen jungen Paare mehr! Seid lieber wachsam. Seid keine hübschen Mädchen mehr, schlagt sofort zurück, wenn man das von euch verlangt. Hübsches Mädchen ist ein entsetzliches Schimpfwort. Das darf man sich garnicht gefallen lassen. Und wenn ihr Jungen wie Edi seid, dann nehmt euch vor uns in acht. Denn wenn ein Mädchen das aufgegeben hat, mit den Wimpern zu klimpern, sich aufzutakeln und euch zu verwöhnen, dann müßt ihr wissen, daß sie es auf diese Weise viel schwerer hat als die braven kuschelweichen Töchter wie Susi eine ist. Dann müßt ihr wissen, daß so ein Mädchen heute viel mehr belastet ist, wenn es sich nicht mehr in Übereinstimmung mit den Modeheften, den bunten Plakaten und den Filmen befindet. Solche Mädchen brauchen viel mehr Kraft für ihr Leben jeden Tag als eine, die sich aufführt wie Susi.
aus: Elfriede Jelinek: Aufforderung zur Unfreundlichkeit. In: Boldt, Renate / Krahl, Gisela (Hg.): Mädchenbuch auch für Jungen. Reinbek: Rowohlt 1975 (= rotfuchs 100-680), S. 7-13, S. 12.
Für diesen Band wurden Autorinnen gebeten, eine Situation zu beschreiben, die ihnen ihre gesellschaftliche Rolle (
Gesellschaft
) als
Frau
oder als Mädchen bewusst gemacht hat. In Jelineks Kurzgeschichte werden patriarchal geprägte Rollenbilder (
Patriarchat
) und Beziehungsmuster zwischen
Mann
und Frau hinterfragt. Die Ich-Erzählerin, Edis Exfreundin, berichtet über die Beziehung von Susi und Edi. Susi entspricht dem Klischee der schönen und schwachen Frau, Edi ist ein
Künstler
, der gewohnt ist, von Frauen umsorgt zu werden. Der Text ruft zur Emanzipation auf, Mädchen werden ermutigt, dem traditionellen Frauenbild nicht zu entsprechen, Jungen werden aufgerufen, gerade die starken und unabhängigen Mädchen zu schützen.