Wien West

Hörspiel

SprecherInnen

Musik

Stott

/

Fa­bi

: Chirpy Chirpy Cheep Cheep (1 min);

Heint­je

: Eine kleine Abschiedsträne (2 min 15 sec); Mungo Jerry: In the summertime (45 sec);

Wied­mann

: Grenadier-Marsch (50 sec);

Chris Ro­berts

: Ich bin verliebt in die Liebe (20 sec); Gestern noch ganz allein (40 sec); Jovanka (15 sec).

Erstsendung

  • 13.2.1972

Weitere Sendung:

  • Wien West. 12.11.1989

 

In ihrem Hörspieltext greift Jelinek Formen und Motive des Western-Genres und damit verbundene Trivialmythen (

Tri­vi­al­my­thos

) auf, die sie ins Wiener Vorstadtmilieu verlagert und dekonstruiert. Die Ausgangssituation der Handlung ist der Konflikt um ein Wirtshausmonopol (

Ka­pi­ta­lis­mus

) im Westen von Wien (

Ös­ter­reich

) sowie der Kampf um Erni, die Tochter eines Wirts, der seine Vormachtstellung ausbauen möchte. Die drei jungen Männer Werner, Jürgen und Karl werden angeheuert, um mit Hilfe ihrer motorisierten Fahrzeuge den Nagl-Wirt, der dem Wirt im Weg ist, zu ruinieren. Doch die Bemühungen sind vergeblich, da der ebenfalls in Erni verliebte Student Hans, der Sohn des Nagl-Wirts, als Fahrradfahrer die Moped-, Motorrad- und Autofahrenden überlistet und das Wirtshaus seines Vaters rettet.

Die Handlung wird von einem Sprecher ironisch kommentiert, wobei die HörerInnen direkt angesprochen werden. Die Geräusche der Fahrzeuge (Moped, Motorrad, Auto, Fahrrad) werden eingesetzt, um die Auftritte ihrer Besitzer anzukündigen.

 

A Hetz muß sein, sagt man in Wien. Mehr ist zu „Wien West“ im Grunde nicht zu sagen. Die Leute hetzen eben herum und aus. Sie verändern dauernd ihren Standort, um sich zu amüsieren oder jemand dran zu hindern, es zu tun. Sie benützen dazu vielerlei Fortbewegungsarten, und das kann man dann hören. Zum Glück gibt es die Stereoanlage, und man kann den Kopf von links nach rechts wenden, damit die handelnden Personen rasend schnell durchs Wohnzimmer zischen können.

Meine Hörspiele sind ja sehr sprachintensiv. Das heißt, ihre Figuren entstehen aus Sprache, sprechen um ihr Leben, und sobald sie zu sprechen aufhören, verschwinden sie wieder. Ich spreche, daher bin ich. Ich esse, daher geht es mir gut, sagt einer der weiblichen Vampire in einem Theaterstück von mir. In „Wien West“ gehen die Leute ins Gasthaus essen, während der Vampir mit Muskelkraft herumfliegen muß. Das damals neue Hörspiel mit seinen vielerlei Varianten von Schall, Geräusch, Musik, Sprachfetzen, Klang, ist von mir eigentlich immer zu einer reinen Sprachpartitur reduziert worden. So habe ich mich in „Wien West“ quasi selbst parodiert, indem dieses eine, einzige Mal die Geräusche eine essentielle Wichtigkeit erhalten haben. Die Geräusche sind dramaturgisch mit der Handlung verwoben, aber nicht Kunst ist daraus geworden; nicht das Raffinement der Klangcollagen eines Ferdinand Kriwet oder seines heutigen Pendants Heiner Goebbels habe ich angestrebt (und ich hätte es auch kaum erreichen können!), sondern eine Parodie auf das Geräusch als Radiokunst.

Die Handlung basiert darauf – (und wird im wahrsten Sinne des Wortes angetrieben) von den Geräuschen bzw. Nichtgeräuschen, die Fortbewegungsmittel machen. Mehr ist dazu nicht zu sagen, sonst könnte ja die Spannung nicht ordentlich in ihrem Gefäß kochen, damit auch die Zuhörer essen können. Außer daß es auch noch um zwei Gasthäuser in Wien West geht, wo ich übrigens wohne, von denen jedes das Monopol für sich beansprucht, das einzige in der Gegend sein zu wollen. Dazu muß es aber den Konkurrenten erst einmal ruinieren.

Ähnlichkeiten mit der politischen Lage sind heute sowieso zufällig und waren es damals, zum Zeitpunkt des Entstehens des Hörspiels, auch schon, wie wir jetzt aufatmend feststellen können. Aber damals, als ich das geschrieben habe, hat man das noch nicht gewußt und manchmal nicht einmal laut zu atmen gewagt.

aus: Elfriede Jelinek: Vorspruch zum Hörspiel „Wien West“ . Typoskript, SDR 1989.

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