Ich übersetze Feydeau, weil sein Thema das EINE ist, also ALLES. Die Männer seiner Komödien, Bürger des 19. Jahrhunderts, in – buchstäblich – wohlgeordneten Verhältnissen und das auch noch in Paris, also wie der Herrgott lebend, haben sich, wie es sich gehört, in einem gesellschaftlich nicht anerkannten Arbeitsvertrag namens Ehe,
Frauen zur Seite gelegt, und haben daher nichts Eiligeres und Dringenderes zu tun, als diese Frauen möglichst geschickt wieder zu betrügen, kaum daß sie sie errungen haben. Es gibt natürlich auch Dienstboten, die es aber auch dauernd miteinander treiben. Die verschleierte, aber dauernd unwillkürlich hervorbrechende Gewalt des Opferungsaktes
Ehe hat kein anderer Komödienschreiber besser dargestellt als Feydeau. Die verzweifelte Komik seiner Komödien besteht ja darin, daß der Mann die Frau besitzt und auf sein Eigentum für den Rest seines Lebens aufpassen muß und daß er für sein eigenes – außereheliches – Amüsement intellektuelle Leistungen aufbringen muß, als gelte es, einen Doktorgrad zu erwerben.
Denn das mindeste, das die Ehefrau erwarten kann, ist, daß man sie sorgfältig und umsichtig hintergeht. Der sexuelle Betrug an der Frau ist nur eine Kleinigkeit, gemessen an den Anstrengungen, die man auf sich nehmen muß, um ihn endlich begehen zu können. Und meist kommt es nicht so weit, weil Anzüge vertauscht werden, Leute aus dem Fenster fliegen,
irgendwelche Mittel im unrechten Moment geschluckt werden, Doppelgänger in Gestalt von Dienstboten auftauchen oder Detektive; aber wenn Frauen der besseren Gesellschaft gierig werden, dann kriegen sie natürlich überhaupt nichts, denn sie haben schon: ihren Ehemann, der am Schluß reuig zu ihnen zurückkehrt, aber schon mit einem Fuß wieder draußen steht,
um einem diskreten Kutscher ein Signal zu geben. Der kollektive Verachtungsprozeß, dem Frauen anheimfallen, wenn sie sich von den Komplizen der Männer, den Müttern und Freundinnen, in die Ehe treiben lassen, scheint in den listigen Damen Feydeaus aufgehoben, aber nicht aufgeschoben zu sein, denn seine happy ends, in denen sich die jeweiligen Gatten
nicht aus neuerwachter Liebe, sondern erschöpft von den Strapazen des Herumjagens, manchmal auch kurzfristig aufgewertet durch ein Interesse, das andere – Hausfreunde wie eifersüchtige Kokotten – an ihnen genommen haben, mehr durch Erpressung oder sonstige Kleinverbrechen gezwungen als freiwillig einander in die Arme schmeißen, spielen sich vor einem sehr dünnen Vorhang ab,
durch den, schaltet man das Licht ein, die guten alten Verbrechen an der Frau im Dienste der gesellschaftlichen Reproduktion, sichtbar werden, das Blut von Wochenbetten, der Schweiß unbezahlter Hausarbeit, die einsamen Stunden des Wartens und miefige Stundenhotels schließlich als Belohnung für den Herrn von Welt.
Elfriede Jelinek: Elfriede Jelinek schrieb uns zu ihrer Übersetzung . In: Verlagsnachrichten von Nyssen & J. Bansemer Theaterverlag Köln, November 1986.
Jelinek erstellte alle Übersetzungen von
Feydeau
-Theaterstücken im Auftrag des
Theaterverlags Ute Nyssen & J. Bansemer
. Ein Großteil der Übersetzungen stammt aus den 1980er Jahren. Sowohl wirtschaftlich-finanzielle als auch ästhetische Überlegungen des Verlags waren für die Wahl Jelineks ausschlaggebend: so sollten die Übersetzungen Jelinek zu höheren Honoraren und einer größeren Bekanntheit im Theaterbereich verhelfen (zumal
Feydeau
-Stücke häufig an größeren Bühnen gespielt werden) und gleichzeitig die von herkömmlichen Vorstellungen geprägte
Feydeau
-Rezeption im deutschsprachigen Raum erneuern.
Charakteristisch für den Stil der Übersetzungen sind einerseits Aktualisierungen in der Wortwahl, andererseits aber auch die Beibehaltung des Sprachrhythmus sowie der Wortspiele und die Betonung des gesellschaftskritischen Gehalts der Originale. Zentrale Aspekte sind die Hinterfragung geschlechts- und klassenspezifischer Konventionen (
Frau
,
Mann
) der
Gesellschaft
und das Aufzeigen der Doppelbödigkeit der bürgerlichen Moral, die sich vor allem in der
Ehe
und der
Familie
sowie im Umgang mit
Sexualität
manifestiert.
Jelinek erstellte die Übersetzung Herrenjagd 1983. Herrenjagd war die erste Übersetzung der Autorin eines Theatertextes aus dem Französischen. Aufgeführt wurde das Stück in Jelineks Übersetzung erst im Jahr 1998 am Nationaltheater Mannheim.
Das Stück handelt von einem vermeintlichen Jagdausflug Duchotels, der sich in Wirklichkeit heimlich mit einer Geliebten trifft. Seine Frau Leontine wird von Moricet darauf aufmerksam gemacht und will sich durch einen Seitensprung mit diesem für die Untreue ihres Mannes rächen (
Ehe
,
Sexualität
). Ähnlich wie die anderen Feydeau-Übersetzungen Jelineks setzt sich auch Herrenjagd kritisch mit der zweierlei Maß anlegenden bürgerlichen Moral und mit Geschlechterstereotypen (
Frau
,
Mann
) auseinander. Ebenso werden die Oberflächlichkeit der bürgerlichen
Gesellschaft
und deren hohle Konversationsfloskeln demaskiert.
Während man bei der
Erstaufführung der Übersetzung am Nationaltheater Mannheim (1998)
der von Jelinek gewählte Titel Herrenjagd verwendete, wurde bei den Inszenierungen am
Theater in der Josefstadt (2006)
und des
Salzburger Straßentheaters (2014)
zwar mit Jelineks Übersetzung gearbeitet, die Produktionen hatten jedoch den Titel Wie man Hasen jagt .