Parsifal: (Laß o Welt o Schreck laß nach!)

Uraufführung am Burgtheater Wien, 2006. Foto: Georg Soulek

Abdrucke

Erstveröffentlichung:

Erstdruck:

Teilabdrucke:

DVD

AREA 7.

Schlin­gen­sief, Chris­toph

Wien

:

Burg­thea­ter

2006

(Titel: Jelinek Lecture)

.

 

Jelinek schrieb den Text für

Chris­toph Schlin­gen­siefs

Filmprojekt The African Twintowers – The Ring – 9 / 11 (2005), das in der Nähe der Stadt Lüderitz im afrikanischen Namibia stattfand. Der Text wird im Film in Auszügen von

Ro­bert Stadl­ober

rezitiert.

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

Eu­ri­pi­des

: Die Bakchen

Nietz­sche

: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

Da­vid Si­gner

: Die Ökonomie der Hexerei

Viele weblogs – danke fürs Reisen!“

Der Text, der, von der Person

Chris­toph Schlin­gen­sief

und seinen Themen ausgehend, Erlösungsmythen in Kunst (

Künst­ler

),

Ge­sell­schaft

und Religion thematisiert, ist durch Absätze gegliedert und weist keine Angaben zu Figuren oder Schauplätzen auf. Neben den genannten Quellen werden auch Bezüge zu

Ri­chard Wag­ners

Oper Parsifal hergestellt, die

Schlin­gen­sief

2004 bei den Bayreuther Festspielen inszenierte.

Im Rahmen von

Schlin­gen­siefs

Projekt Area 7 am Wiener Burgtheater (der Name Area 7 bezieht sich auf das Wellblech-Township in der Nähe der Stadt Lüderitz) wurde Jelineks Text in gekürzter Fassung als Video-Lesung der Autorin auf mehreren Monitoren und auf einem rotierenden Sonnenrad präsentiert. Diese Elemente waren Teil des Animatographen, einer begehbaren Film- und Drehbühne, die Theater, Oper, Film, visuelle Kunst, Literatur und Performance kombinierte. Ausgangspunkt dieses Animatographen war u.a.

Schlin­gen­siefs

Parsifal -Inszenierung. Dem Programmheft zur Wiener Inszenierung, das Jelineks Text in Form von Teilabdrucken enthält, ist eine DVD beigelegt, auf der auch zwei Titel zu diesem Text enthalten sind: eine (gekürzte) Aufnahme ( Jelinek Lecture ), in der Jelinek den Text vor der Kamera einliest (dabei handelt es sich um die Aufnahme, die in die Inszenierung eingebunden wurde), und, mit dem Titel Jelinek Rehearsal , die Probe des Textes mit einem namibischen Darsteller bei

Schlin­gen­siefs

Performance in Lüderitz.

 

Ich bin ein Gott, in meine eignen Hüften eingenäht von all den Badehosen, die ich trug, die von vielen Liebesbünden mir auf den Leib geschneidert worden sind. Es fällt die Hose, und ich werde toll und falle falle, nicht ins Reisen, nur die Körperteile reisen, sind Alleinreisende, kriegen die schlechtesten Zimmer – zerstückelt von Titanen sind sie, aber andrerseits: Noch die Stücke werden verehrt, aber nur meine, nur meine! Ich meine nicht Theaterstücke, meine zerfetzten Körperstücke meine ich, diese Leiden, die das mit sich bringt, das Zerstückeln, diese Umwandlung in Luft, Wasser, Erde und Feuer. Noch dazu. Fall gleich ganz aus der Welt, die ich bin, ich ich ich. Was hab ich mit der Welt doch zuviel Zeit verbracht, ich bin ganz außer mir, wieviel an Welt ich von den Reisen mitgebracht, jedes leidende Stück von mir, es schlüpft in jüngst entbundene Mütter, in Säuglinge, jedes Stück von mir, das mach ich alles durch, damit das Individuum zählt. Die Mütter trink ich leer, die Milch spritzt mir in den Mund, ich schlag an den Felsen, ach was, die Welt, die Welt, die wird noch von mir hören, auch wenn sie so lange nichts von mir vernommen hat, ich bin im besten Einvernehmen mit der Welt, sie klebt an meinen Joggingschuhen, die Welt, die mich verhöhnt, das kann sie überall, zur Zeit in Afrika? Zur Zeit in Afrika. Laß o Welt, o laß mich sein, wo ich bin, wo keine Zukunft ist und kein Gedanke, daß es eine geben könnte. So ists gut, dann kann sie mich nicht mehr verlieren. Ich sie aber auch nicht. Uns hat man zusammengeflochten, Hasso Welt, Fido Welt, Hasse Welt, feiere Welt und mich. Ich und Welt: Wir gehören zusammen, sage ich, und zerr an Hose Nummer fünf, es ist ein Aufbegehren gegen Gott allein, denn nur er weiß, was morgen sein wird, mich darf es nicht kümmern. Man fragt, was morgen ist, und kommt der Welt heut schon abhanden, während man noch fragt, nein, indem man fragt. Macht nichts, in dieser Welt verdirbt die Zeit, this is Africa, my friend, bei uns wird alles geteilt, auch der Gestank, doch im Gestank der toten Zeit will ich nicht weiterleben, die Zeit will es auch nicht, wills mit mir auch nicht mehr versuchen, die mit ihrer krankhaften Furcht vor hübschen kleinen Mädchen, Zuckerpüppchen, die den Männern nur die Kraft wegnehmen, ja, auch sie warten dringend auf die Zeit, damit sie schnell erwachsen und nicht wie Zigaretten angezündet werden. So viele Zeit verdorben, die nicht mehr leben wollte und jetzt tot ist, still und kalt!, und auch als sie gelebt hat, war die Zeit nicht gut zu mir.

aus: Elfriede Jelinek: Parsifal: (Laß o Welt o Schreck laß nach!). http://www.elfriedejelinek.com/farea.html (15.7.2014), datiert mit 13.2.2006 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2006, Theatertexte).

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