Was ich erfahre, erfahre ich aus mir selbst, und zwar aus meinem Schreiben.
Ein umgekehrter Vorgang zu dem, was normal ist. Man schaut sich alles in Ruhe oder,
wenn man wenig Zeit hat, eilig an, was es gibt, und dann schreibt man darüber,
mehr oder weniger treffend. Bei mir entsteht Erfahrung erst, indem ich sie schreibe
(nicht niederschreibe, aber niederschreiben will ich sie schon, und zwar richtig!,
damit sie nicht mehr aufsteht, damit sie kein andrer macht, die Erfahrung, und um zu bemänteln,
daß ich selbst eben keine selber gemacht habe).
aus: Elfriede Jelinek: Die Welt, an der ich schreibe, Mist, wo ist die jetzt wieder hin, vorhin hab ich sie doch schon angefangen! In: Neumann, Kurt (Hg.): Die Welt, an der ich schreibe. Wien: Sonderzahl 205, S.101-106, S. 102.
Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der
Alten Schmiede
2005; über das Aneignen von Erfahrungen, die sich erst beim Schreiben evozieren, das Erzeugen von Welt und die damit zusammenhängende Reflexion.