Und diese Unbeschreibbarkeit dessen, dem wir alle unterliegen, macht ihre Stücke
gleichermaßen konkret wie vollkommen rätselhaft. Und jeden Moment kann sie
das Konkrete ins Rätselhafte umschlagen lassen. Da sich die Macht nicht be-urteilen
läßt – denn sie spricht sich immer nur selbst das Urteil, bleiben zu müssen, gestützt
von unseren zahllosen Rücken –, möchte sie vielleicht langsam, sie war ja immer da,
und genug ist genug, fortgehen. Sie möchte vielleicht, daß einmal andere sie
ausüben, bitte sehr probieren wir das halt, es wird auch nichts ändern. Aber man
kann das immerhin zeigen in den Petrischalen, die Marlene Streeruwitz da auf die
Bühne stellt, unter stetigem Umrühren zehn Minuten auf kleinster Hitze. Wen oder
was suchen Sie denn in diesem schwachen Dunst, der vom Herd aufsteigt, oder ist
das etwa eine Wiese? Der Morgen ist schon da, der Morgen kann es nicht sein. Aber.
Das Leben. Das wird es ihr schon besorgen? Was besorgen?
Keiner lügt hier. Alle lügen. Es ist Theater. Genau der richtige Ort dafür. Also muß
was wahr ist falsch sein, auch wenn es sich einem als wahr dargestellt hat, und umgekehrt.
Beim Theater ist immer etwas: dahinter. Beim Leben geht es einfach nur
weiter, bis es eben aus ist.
aus: Elfriede Jelinek: Die Macht und ihre Preisliste. Zu den Theaterstücken von Marlene Streeruwitz.
In: Streeruwitz, Marlene: Waikiki-Beach. Und andere Orte. Die Theaterstücke. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1999, S. VII-XVI, S. XI.
Vorwort; über die Theaterstücke von
Marlene Streeruwitz
und
Streeruwitz
’ Fähigkeit, darin die bestehenden Machtverhältnisse (
Gewalt
,
Gesellschaft
) zu beschreiben.