Interview mit Elfriede Jelinek am 22. August 1985

Nachweis

 

Ausgangspunkt des Gesprächs ist die Frage nach der Thematisierung von Arbeit (

Ar­bei­ter

,

Ar­bei­te­rin

) in zeitgenössischen Romanen. Über deutschsprachige Romane, in denen das Spannungsfeld von Arbeit und Identität problematisiert wird, sie verortet (im Gegensatz zum Realismus in diesen Texten) ihre eigenen Werke in der avantgardistisch-sprachexperimentellen

Schreib­tra­di­ti­on

Österreichs (

Ös­ter­reich

) (

Karl Kraus

, Wiener Gruppe,

El­frie­de Gerstl

). Über die Recherchen in einer Miederfabrik, die sie für ihren Roman

Die Lieb­ha­be­rin­nen

angestellt hat, Biographisches (den jüdisch-sozialistischen (

Ju­den­tum

) und den katholisch-großbürgerlichen Teil ihrer

Fa­mi­lie

(

Per­son

)) und ihr politisches Engagement (

Po­li­tik

). Als für ihre Arbeit wichtige

Schreib­ver­fah­ren

bezeichnet sie die Techniken der Satire. Skeptisch äußert sie sich zur Frage, ob die Arbeitswelt im

Ka­pi­ta­lis­mus

bedingt durch technische Fortschritte humaner werden könnte. Neben den

Lieb­ha­be­rin­nen

auch über ihre Romane

Die Aus­ge­sperr­ten

und

Die Kla­vier­spie­le­rin

.

 

Donna Hoffmeister: Männliche Kritiker finden ihr Buch „Die Liebhaberinnen“ schlecht. Sie verwenden ästhetische Kategorien wie Realismus gegen Sie und streiten Ihnen als Satirikerin das Recht zur Übertreibung ab.

Elfriede Jelinek: Ja, natürlich. Seitdem ich schreibe, schlage ich mich damit herum. Es ist wirklich schrecklich, weil eben die Techniken der Satire hauptsächlich von den Juden getragen worden sind. Auch in Berlin war das eigentlich jüdische Domäne. Diese Kultur ist eben vernichtet worden. Es gibt auch keine Kritiker dafür, außer Reich-Ranicki, der eine satirische Ader hat. Ich glaube, daß durch die Faschisten wichtige literarische Traditionen gewaltsam abgebrochen worden sind. [...]

Diese Kritik ist aber auch gegen Sie gerichtet, weil Sie als Frau Satire schreiben.

Das sowieso. Das steht einer Frau auch nicht zu. Ich finde in der Kritik meiner Werke ständig Wörter wie: „erbarmungslos, brutal.“ Von einer Frau erwartet man eben gefälligere Texte. [...]

Als Satirikerin artikulieren Sie keine Gegenvorstellungen zu der Gesellschaft.

Das positive Gegenmodell läßt sich mit meinen literarischen Techniken nicht vereinbaren. Ich kann sozusagen nur das negative Schlaglicht auf die Dinge werfen. Ich habe mir schon vorgenommen, das nächste Buch so wahnsinnig positiv zu schreiben, daß es noch viel negativer als all meine negativen Bücher wirkt.

aus: Donna Hoffmeister: Interview mit Elfriede Jelinek am 22. August 1985. In: Modern Austrian Literature 2/1987, S. 106-117, S. 111.

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