Sind schreibende Frauen Fremde in dieser Welt? Die Begegnung

Emma, September/Oktober 1997

Nachweis

 

Jelinek und

Mar­le­ne Stre­eru­witz

im Gespräch über weibliches Schreiben, künstlerisch-kreative Frauen (

Frau

) in einer patriarchalen

Ge­sell­schaft

(

Pa­tri­ar­chat

),

Se­xua­li­tät

und

Fe­mi­nis­mus

. Als Beispiele werden u.a.

In­ge­borg Bach­mann

,

Frie­de­ri­ke May­rö­cker

und

Chris­ta Wolf

angeführt. Kritik an der Missachtung gegenüber weiblichem Kunstschaffen (

Künst­le­rin

), aber auch an den Frauen, die als Komplizinnen der männlichen Macht (

Mann

) agieren. Als Unterschied zu den

Schreib­ver­fah­ren

von

Stre­eru­witz

führt Jelinek an, dass sie „nicht Ich sagen kann“, exemplarisch arbeite, keine Einzelschicksale beschreibe, sondern „für alle Frauen mitschreibe“. Weiters über Biographisches (

Per­son

), Jelinek u.a. über ihre

Mut­ter

und ihren

Va­ter

.

Passagen aus dem Gespräch wurden 2006 in

Ni­co­las Ste­manns

Ur­auf­füh­rungs­in­sze­nie­rung

von Jelineks

Ul­ri­ke Ma­ria Stuart

am Hamburger

Tha­lia Thea­ter

verarbeitet (in Form von sprechenden Vaginas), woraufhin

Stre­eru­witz

, im Gegensatz zu Jelinek, klagte. Ihre Klage wurde jedoch abgewiesen.

 

Elfriede Jelinek: Eine Frau ist kein Einzelschicksal wie ein Mann. Eine Frau hat kein Ich. Eine Frau steht für alle Frauen. Als Vertreterin einer unterdrückten Kaste schreibt sie für alle anderen mit. Man gesteht uns nicht zu, Ich zu sagen. Und im Grunde können wir es auch nicht.
Marlene Streeruwitz: Na, das möchte ich bestreiten!
Jelinek: Das ist sicher ein Dissenz zwischen uns. Ich sehe, daß du Ich sagst und Ich schreibst. Ich habe das Gefühl, daß ich nicht Ich sagen kann. Deswegen schreibe ich so exemplarisch, ich beschreibe keine Einzelschicksale. Ich schreibe ein weibliches Es und habe tatsächlich das Gefühl, daß ich für alle Frauen mitschreibe.
Streeruwitz: Bei mir ist es dieser essentielle Zusammenstoß zwischen der Gesellschaft und der Mutterschaft. Ich war gezwungen, ein Ich herzustellen. […]
Das Problem ist, daß es keinen Werk–Begriff gibt für das, was Frauen machen. Wir müssen doch mit jedem einzelnen Werk erneut den Beweis vorlegen, während Männern gegenüber die Kontinuität ihres Schaffens im Vordergrund steht und von Werk zu Werk Wirkung aufgebaut werden kann. Bleiben wir nicht in Erinnerung?
Jelinek: Eine Frau darf kein Werk haben.
Streeruwitz: Und dann entsteht auch keins. Dieses ständige von Null anfangen müssen, sowohl als Person wie auch als Künstlerin, das ist hinderlich bei der Arbeit. […]
Jelinek: Was ich an deinem Schreiben so toll finde ist, daß du, auf deutsch gesagt, weißt, wo’s lang geht. Du kennst das Leben. Das habe ich bei einem Mann nur selten erlebt. Ein Mann kann dieses Leben der Frau gar nicht kennen. Die Frau leistet die Aufzucht der Kinder, wie die Sklaven im alten Rom. Sie lernt die Liebesarbeit. Sie weiß, was sie kochen muß. Der Mann nimmt es an, und er weiß nichts. […] Deine Texte sind literarisch erarbeitet, aber dahinter steckt eine so präzise Kenntnis des Lebens, die ich nicht habe. Ich schreibe, weil ich weiß, daß es so sein muß. Du schreibst, weil du weißt, daß es so ist.
Streeruwitz: Dieses exemplarische Schreiben von dir war ja auch das Transportmittel für das Politische, das du in die Literatur gebracht hast. Da habe ich es leichter nach dir, weil es dich schon gibt und du eine Bresche für die politisierte Literatur von Frauen geschlagen hast. Du hast einen Weg geschlagen, und ich profitiere davon.
aus: N. N.: Sind schreibende Frauen Fremde in dieser Welt? Die Begegnung. In: Emma, September/Oktober 1997, S- 54-63, S. 57, S. 59 und S. 62-63.